Die 6 steht
Tag 1
Nach der missglückten Besteigung des Cotopaxi in Ecuador war eines klar: Ein neuer Berg muss her und bestiegen werden. In La Paz bin ich fündig geworden: Der Huayna Potosi, 6088 Meter hoch, technisch nicht sehr anspruchsvoll, aber mit schöner Aussicht vom Gipfel. Gefunden, gebucht!
Am Samstagmorgen geht es in La Paz los, ein Franzose ist noch mit an Board, und nach ca. 1,5 Stunden erreichen wir den Parkplatz auf 4800 Metern. Von dort aus geht es laut unseren Guides, Franz und Felix (ja, beide Bolivianer), ca. 2-3 Stunden zum Basecamp. Wir bekommen unsere ganze Ausrüstung, packen unsere Rucksäcke damit voll und laufen los. Nach kurzer Zeit geht es bereits steil bergauf und nach 40 Minuten bin ich schon außer Atem, sodass ich mich bereits jetzt frage, was ich hier eigentlich tue. Das Laufen in dieser Höhe und mit ca. 20 kg Gepäck ist einfach mega anstrengend. Nach einer Stunde machen wir eine Pause und nach 5 Minuten haben sich Atmung und Puls wieder einigermaßen normalisiert. Dieser Zustand ist allerdings nach 30 Sekunden des Weiterlaufens schon wieder dahin.
Wir kommen bereits nach 1,5 Stunden im Basecamp auf 5130 Metern an, was zwar einerseits ganz schön ist, da die Anstrengung damit erst mal vorbei ist, andererseits bedeutet das aber auch, dass wir mehr Zeit in der kalten Hütte verweilen müssen. Wir verbringen die Zeit mit viel Cocatee-Trinken (gut gegen die Höhenkrankheit und auch sonst so ziemlich alles), Quatschen und immer mal wieder herumlaufen, damit die Füße nicht einfrieren. Wir beziehen auch unsere Schlafplätze, eine ca. 2 Quadratmeter große und noch 3 cm dicke Matratze, mindestens 20 Jahre alt, auf der heute Nacht zwei Rucksäcke und ein Schlafender Platz finden müssen! Im ganzen Raum liegen ca. 30 dieser Matratzen direkt aneinander. Um 17 Uhr gibt es Abendessen und kurz nach 18 Uhr liegen bereits alle in Ihren Schlafsäcken. An Schlaf ist auch hier wieder nicht zu denken, da es ständig eine Geräuschkulisse aus Flüstern, Husten, Niesen, Nase putzen, Umdrehen, Schnarchen usw. gibt, und auch die sonstigen Bedingungen wie Platzangebot, Uhrzeit und Temperatur nicht gerade schlaffördernd sind.
Tag 2
Nach gefühlten 10 Minuten Schlaf (es waren bestimmt mehr, aber es ist schwierig einzuschätzen) werden wir kurz nach Mitternacht geweckt. Schon wieder so ein langer Sonntag 😉 Es gibt ein kleines Frühstück, welches ich besser weggelassen hätte und anschließend ziehen wir unsere 3 Paar Socken, 3 Paar Hosen und 5 Schichten für obenrum an. Außerdem noch Mütze, Helm mit Taschenlampe, 3 Paar Handschuhe, Wanderschuhe und Steigeisen. Um 1:30 Uhr geht es bei wunderschön klarem Sternenhimmel los. Maximal 6 Stunden darf der Aufstieg dauern, damit man rechtzeitig, bevor der Schnee zu weich wird, wieder zurück ist.
Der Franzose und ich hängen also am Seil unseres Guides Felix. Wir laufen mit der Geschwindigkeit einer alten Oma mit Gehhilfe und unsere Atem- und Herzfrequenz ist bereits wieder auf dem Level eines 400 Meter Läufers. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, kann man sich das gar nicht vorstellen. Der Weg geht entweder steil oder sehr steil nach oben, sodass man ab und zu den Eispickel verwenden muss, um sich hochzuziehen. Zum Glück ist es dunkel, sodass man nicht den ganzen Weg sieht, den man noch vor sich hat, aber die Lichter der Vorauslaufenden lassen Schlimmes befürchten… Ich stelle mir schon wieder die Frage warum ich mir das antue, aber lange kann man darüber nicht nachdenken, man muss sich auf das Atmen konzentrieren. Ich vergesse auch, mir bei den zahlreichen Sternschnuppen zu wünschen, dass wir schon oben wären. Trotz drei Paar Socken und ständiger Bewegung sind die Füße ganz kalt. Die Erholung in den kurzen Pausen verpufft genau so schnell wie am Vortag. Wenn wir andere überholen, die gerade Pause machen, so sieht dies aus wie bei einem Schneckenrennen.
Trotzdem kommen wir pünktlich zum Sonnenaufgang, nach ca. 4 Stunden auf dem Gipfel an – auch wenn ich es zwischendurch nicht für möglich gehalten hatte. Der Rundumblick auf andere Berge, den Titicacasee, ein Wolkenmeer und die beleuchteten Vororte von La Paz ist im wahrsten Sinne atemberaubend. Es ist eisig kalt auf dem Gipfel und nach ca. 10 Minuten ohne Handschuh an der einen Hand (um Fotos zu machen), tut mir die ganze Hand weh und ich spüre an drei Fingern meine Fingerkuppen nicht mehr. Ich muss den Guide darum bitten, mir die Kamera in die Tasche zu stecken und den Reißverschluss zu schließen. Ich tue alles, um die Hand wieder warm zu kriegen, aber als nach 5 Minuten das Gefühl noch nicht zurück ist, muss ich an Reinhold Messner’s abgefallene Zehen denken 😉 Ganz so schlimm war es dann doch nicht und nach weiteren 10 Minuten war das Gefühl fast vollständig wieder da. Wir verlassen den Gipfel kurz nach Sonnenaufgang wieder – es bleibt also nicht viel Zeit zum Genießen. Der Abstieg dauert knappe zwei Stunden und ist gegen Ende hin noch eine echte Tortur, da es mittlerweile durch die Sonne und die vielen Klamotten sehr heiß ist. Erschöpft aber glücklich sind wir bereits um 8 Uhr wieder zurück an der Hütte. Dort haben wir eine Stunde Zeit, um uns umzuziehen und alles zusammenzupacken, bevor es auf den letzten Abstieg zurück zum Parkplatz geht. Dieser steile Weg über rutschigen Schnee und lose Steine ist fast das Schlimmste am ganzen Tag. Wir brauchen genauso lange für den Abstieg wie für den Aufstieg! Danach geht es zurück nach La Paz und wir freuen uns alle auf eine heiße Dusche, etwas zu Essen und viel Schlaf für die kommende Nacht!